Freitag, 9. April 2021

Harz: Von Bad Sachsa nach Niedersachswerfen

Harz: Äh, noch mehr Süden...? (mir gehen die Himmelsrichtungen aus)

Zwei Wälder liegen nun an der Schwelle zum Harz. Der eine ist himmlisch schön, der andere höllisch gruselig. Finde ich jedenfalls. Das könnte auch daran liegen, dass ich beide bei ganz unterschiedlichem Wetter besucht habe - aber ich bin sicher, es liegt nicht nur daran.

Der himmlische Wald erstreckt sich zwischen Bad Sachsa und Walkenried. Um ihn zu erreichen, mussten wir erst einmal einen Schlenker nach Norden machen, über einen Bach namens Uffe.


Der himmlische Wald ist nämlich voller grünblauer Teiche, und die mussten wir zunächst einmal umfahren. Dann entschieden wir uns, nicht den direkten Weg zu nehmen, sondern mehr vom Wald zu erkunden. Zum Glück! Das war der schönste Teil dieser Radtour. Um die Pfade leuchtete es hellgrün und frühlingshaft, und ganz gut befahrbar war der Wald auch noch. Hier leben viele Baby-Nacktschnecken.
Einer der Teiche heißt Priorteich. Das verrät uns, wer die Dinger ausgebuddelt hat: Mönche. Angeblich legten sie 365 Fischteiche an, um jeden Tag Fisch zu essen (außer an Schaltjahren). Fisch hatte für den Prior des Klosters ganz klar Priorität.

In diesem Wald entdeckten wir die Burgruine Sachsenstein. Es handelt sich um die Art Ruine, bei der nicht überall zu erkennen ist, ob das jetzt ein Felsen ist oder eine sehr stark verwitterte Mauer. Kaiser Heinrich IV. ließ solche wehrhaften Burgen bauen und setzte Ministeriale da rein, um den Harz zu kontrollieren. Klappte aber nicht so richtig, und nach diversen Aufständen musste er sich zum Rückbau der Burgen verpflichten (oder wie man damals etwas dramatischer sagte: die Burgen schleifen).

Die Form des Turms ist immerhin noch erahnen, und sogar einige dekorative Muster sind an der Innenseite eingeritzt. Die Feuerstelle in der Mitte ist neueren Ursprungs.
Zum Glück haben wir den Abstecher zur Burg gemacht, sonst hätten wir was verpasst! Und damit meine ich jetzt nicht die Burg.

Denn hier oben entdeckten wir eine grandiose Gipskarstlandschaft. Mittendurch fährt die Bahn.
Die große Klippe auf der anderen Seite der Gleise konnten wir nur aus der Ferne bewundern. Weil ein Grundwasserstrom direkt unter der Erde fließt und am Gips herumlutscht, senkt sich der Boden bis zu 18 Zentimeter im Jahr ab. Die Schienen müssen regelmäßig 

Auf unserer Seite hingegen konnten wir am Rand der Klippe entlangspazieren und den herrlichen Blick über einen Teich und Bad Sachsa genießen.
Der Gips strahlt in der Sonne so weiß wie die Kreidefelsen auf Rügen. Aus der Nähe sieht er körnig und bröselig aus, ist aber überraschend fest. Wäre ja auch mehr als beunruhigend, wenn jederzeit was abbrechen könnte und da weder eine Absperrung noch ein Schild steht.

Dieser tolle Kletterbaum an der Klippe dürfte für Kinder ein Traum, für Eltern hingegen ein Albtraum sein. Dabei besteht doch kein Grund zur Sorge: Sollte ein Kind in den Abgrund stürzen, so ist vor Ort mehr als genug Gips für alle gebrochenen Körperteile vorhanden.

Hinter dem himmlischen Wald liegt das kleine, feine WaldenriedWalkenried, wo wir auf unseren Harzreisen aus irgendeinem Grund immer wieder durchkommen. Der Ortskern besteht im Prinzip nur aus einem kleinen Straßenkreis. Stadtmauer und Stadttor wurden aus Platzgründen direkt in die Fachwerkhäuser integriert.

Im Zisterzienserkloster von Walkenried lebten die fischsüchtigen Mönche. Die noch existierenden Mauern sind hoch genug, um sich vorzustellen, wie die Klosterkirche einst aussah.

Am südlichen Rand vom Harz steuert eine kleine rote Regionalbahn eine Kette kleiner Bahnhöfe mit geradezu winzigen Bahnhofsgebäuden an, wie zum Beispiel das in Walkenried. ("Liebe Gäste, dieser Fahrkartenschalter ist seit 2017 geschlossen, weil hier eh keine Sau vorbeikommt. Vielen Dank für Ihr Verständnis.") Dorthin hat es uns nun schon mehrmals verschlagen, denn hier befindet sich laut Internet der günstigste Punkt, um von der Bahn in einen Bus umzusteigen, der in den Harz hineinfährt. Heißt: Die Umsteigezeit beträgt nur 45 Minuten. Toll!

An Walkenried fließt ein Bach namens Wieda vorbei. Als wir einmal zu früh abbogen, entdeckten wir einen schönen Spazierweg an ihrem Ufer. Er wurde nach irgendeinem Professor oder Forstmeister benannt, dessen Name mir allerdings entfallen ist.

Die Wieda kommt aus diesem Tal im Südharz, wo die Berge noch nicht allzu hoch sind. Da liegt ein Dorf drin, dass auch Wieda heißt. Der einzige Grund, Wieda zu besuchen, ist, weil man sein Handy in einem Bus im Harz verloren hat und es beim ansässigen Busunternehmen abholen muss.

Der höllische Wald erstreckt sich zwischen Walkenried und Ellrich. Den habe ich bereits auf einer Radtour auf dem Iron Curtain Trail durchquert, bei Gewitter, einbrechender Dunkelheit, auf immer schlechtereren Wegen (weil ich falsch abgebogen war), mit Wildschweinen und wachsender Panik, ob ich den letzten Zug noch schaffe.
Aber der Wald ist auch ganz unabhängig von dieser Situation damals höllisch, denn er beinhaltet das komprimierte Grauen der deutschen Geschichte: Hier befanden sich auf demselben Gebiet die Außenstelle eines Konzentrationslagers und die Grenzanlagen der DDR. Von ersterem sind nur verfallene Grundmauern übrig, von letzterem gar nichts. Selbst die wunderschönen Gipsklippen wurden Teil dieses Grauens: Die Häftlinge der Nazis mussten den Gips abbauen.

Bei schönem Wetter sieht der höllische Wald trotz seiner Vergangenheit sicher netter aus. Dennoch hatte ich keinerlei Lust auf ein Wiedersehen, also nahmen wir den direkten Weg auf der Straße durch Rapsfelder. Mittendrin überquerten wir die Grenze von Niedersachsen nach Thüringen, zu erkennen wie üblich am braunen Schild ("Hier waren Deutschland und Europa geteilt bis zum...").

Dann kommt die erste Stadt Thüringens: Ellrich. Im Vergleich zu anderen Harzstädten wirkt Ellrich etwas schäbig. (Nein, das gilt nicht für alle Städte in Thüringen, weiter unten sehen Sie den Beweis.) Wohlgemerkt: Im Vergleich zu den anderen Harzstädten, das ist ja auch ein hoher Maßstab.
Weiterhin sind die Ellricher nicht imstande, ein Schild aufzustellen, das in Richtung Bahnhof weist. Ob Feuerwehrmuseum oder Infozentrum, alles haben sie ausgeschildert, nur nicht den Bahnhof.

Die Kirche scheint zwar restauriert zu sein, aber das eine Ende wurde trotzdem als Steinhaufen liegengelassen und nur mit einem metallenen Schutzdach versehen. Vielleicht wollten die das aus historischen Gründen so lassen, damit die quasi ihre eigene Gedächtniskirche haben und mit Berlin konkurrieren können. Vielleicht dachten die aber auch nur, dass es so am besten zum Ortsbild passt.

Durch Ellrich fließt die Zorge. Die große Straße und die Bahn entfernen sich nun vom Harz und folgen der Zorge durch ein kleines Tal in die nächste größere Stadt.

Wir aber nicht - diese Tour ist eh nur 23 Kilometer lang, da müssen wir nun echt nicht noch mehr abkürzen. Wir sind weiter am knallgelben Rapsrand vom Harz geblieben, die grünen Gipfel stets im Blick.

Im Dorf Werna leben extrem viele exotische Papageien in einer möglicherweise zu engen Voliere.

Die Nebenstraße wird immer schmaler und anstrengender. Sie zwängt sich durch Hügel und einen kleinen Wald hindurch. Da haben wir einen weiteren Waldspaziergang eingeschoben.

Dieser Wald ist weder himmlisch noch höllisch, sondern einfach ein bisschen seltsam. Niemand scheint dort hinzugehen, außer ein paar Leuten, die unten im Tal irgendwann mal ein paar Bäume gefällt haben. Die Pfade sind zugewuchert, riesige Waldameisen und verdammt viele Spinnen krabbeln aus altem Baumstümpfen und am Waldrand schweben schwarze Wolken merkwürdiger großer Fliegen.
Wäre dies eine Fantasygeschichte, wären das beunruhigende Anzeichen, die zweifelsfrei auf ein paar sprechende Riesenspinnen in 500 Metern rechts schließen lassen. Aber in der Realität sieht so nun mal ein Wald aus, in dem sich wenige Menschen aufhalten.

Kurz darauf folgt auch schon das Dorf Ilfeld. Es gehört zur Gemeinde Harztor, ein Name, der nicht nur beeindruckender klingt, sondern auch leicht zu verstehen ist: Wie ein offizieller Eingang in die Berge öffnet sich ein größeres Tal, und wie ein Wächter thront vor dieser Öffnung ein Hügel mit der Burgruine Ilfeld obendrauf (wieder nur ein paar verfallene Mauern).

Ansonsten bestent Ilfeld aus Einfamilienhäusern und Solaranlagen.

Aus dem Harztor kommt eine Linie der Harzer Schmalspurbahn heraus. Bei den Preisen sind wir aber lieber noch ein Stück nach Süden geradelt, bis die Schmalspurbahn auf das Gleis der normalen Regionalbahn trifft, die aus Ellrich kommt. Das passiert in Niedersachswerfen. Für diese Strecke haben wir auf andere Weise bezahlt: Wir wurden nass.
Hier wird der Gips übrigens ganz professionell in großen Stufen abgebaut (im Hintergrund).

So ein Örtchen wie Niedersachswerfen ist natürlich nicht das Ziel der beiden Bahnen. Die wollen noch eine Station weiter nach Nordhausen. Das ist die mal eine richtige Stadt in Thüringen, und auch noch eine richtig schöne!
Nordhausen ist von einer Stadtmauer umgeben. Die kann man auf Stahltreppen erklimmen, um oben herumzuspazieren.

In dieser Mauer liegt eine vielfältige und freundliche Stadt. Zwar ist Nordhausen längst nicht so groß wie Berlin, aber in einer Hinsicht kann diese Stadt absolut mit der Hauptstadt konkurrieren: Pfefferminzlikör. Denn das grüne Zeug, das zuverlässig Hemmungslosigkeit und Kopfschmerzen verursacht und auf den meisten Partys einfach "Pfeffi" genannt wird, wird hier hergestellt und ist der Spirituose namens Berliner Luft hinsichtlich des Konsums unter jungen Leuten mindestens ebenbürtig, eigentlich sogar überlegen.

Vor der Kirche läuft ein Mönch herum.

Die hinteren Straßen der Altstadt bestehen aus Fachwerk und vielen Eisdiesen.


Nordhausen hat außerdem einen großen Park mit alten Mauern.

Und was verbirgt sich in diesem schicken Haus? Etwa ein Museum? Nein, eine Schwimmhalle - oder besser gesagt, ein Badehaus. Es wurde im Jahr 1907 gebaut und im alten Teil des Gebäudes bekommt man heute noch einen Eindruck, wie die Vorfahren unserer Schwimmbäder vor hundert Jahren ausgesehen haben. Damals gab es rechteckige, warme Becken ohne eingezeichnete Schwimmerbahnen, dafür aber mit schöner Jugendstil-Architektur und einem plätschernden Brunnen. Ob die Whirlpools und Solarien neben dem Becken da 1907 auch schon standen, wage ich zu bezweifeln.

Weniger schick sind diese Ruinen an der Zorge.

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