Samstag, 12. Mai 2018

Schaalsee

Es gab eine Zeit, da verlief mitten durch Deutschland eine Grenze. Damit man sie nicht passieren konnte, wurde eine riesige Mauer errichtet. Nur: Was, wenn die Grenze zufälligerweise mitten über einen See verläuft?
Genau das war am Schaalsee der Fall. Es handelt sich um einen der tiefsten Seen Deutschlands voller Geschichte.
Als Startpunkt des Schaalsee-Rundwegs gilt eigentlich Zarrentin, aber wir sind aus einer anderen Richtung gekommen und haben deshalb in Seedorf begonnen.

Seedorf liegt im Nordwesten des Schaalsees und ist in der Tat ein Dorf an einem See, das kann man nicht abstreiten.
Die Grundzutaten sind bei allen Dörfern am Schaalsee ziemlich ähnlich: Bauernhäuser aus Backstein und Fachwerk, Dächer aus Ziegeln oder Schilf, alte Lindenalleen und eine Feldsteinmauer vor der Kirche.
Was gibt es in Seedorf noch so? Also, da wäre eine Schmiede mit Schaukel...

...eine ganz spitze Kirche...

...und die lokale Dorfversammlung der Weinbergschnecken.

Durch eine Zeitschrift sind wir auf den Schaalsee-Rundweg aufmerksam geworden, einen Radführer dazu hatten wir diesmal nicht. Also mussten wir uns den Weg mithilfe von Wegweisern und instabilem Internet selbst zusammensuchen.
Zunächst geht es am nordwestlichen Ausläufer des Sees entlang auf eine Straße namens Zuckerhut. Der Schaalsee besteht aus vielen verbundenen Teilseen, zum Beispiel dem Küchen- oder Priestersee. Über ein paar kleine Seen und einen Kanal gibt es außerdem eine Verbindung zum Ratzeburger See.
Je nachdem, wie weit man sich vom See entfernt, ist der Rundweg 40 bis 50 Kilometer lang und insgesamt leider nicht so richtig optimal. Mit den touristisch erschlossenen Radrouten mitten in der Mecklenburger Seenplatte kann er jedenfalls nicht mithalten.
So hat man einige Steigungen zu bewältigen...

...und ist auf mal weniger stark und mal recht stark befahrenen Straßen unterwegs. Den See sieht man dabei nur sporadisch. Man kommt schnell voran, aber so richtig schön ist das nicht, wenn die Autos vorbeibrausen.

Die Alternative sind Trampelpfade durch üppige grüne Wälder und Wiesen. Das sieht schön aus, aber wirklich schnell voran kommt man da nicht.
Als einzelner Radfahrer ist das noch in Ordnung, aber mit einem Anhängsel wird es schwierig.

Dann eben zurück auf die Straße. Dort passiert man die ehemalige innerdeutsche Grenze. Von der dicken Mauer, die hier einst stand und bis zum Seeufer reichte, ist nichts mehr zu sehen. Ich habe darauf verzichtet, ins Gebüsch zu kriechen und im dornigen Gestrüpp nach Überresten zu graben.
Irgendjemand hat das Datum und die Uhrzeit des Mauerfalls auf dem Hinweisschild übergeklebt, da muss sich wohl ursprünglich ein Druckfehler eingeschlichten haben.
Streng genommen verläuft hier auch heute noch eine Grenze, nämlich die zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.

Kaum waren wir im Osten, haben wir auch schon die ersten Auswirkungen des Solidaritätszuschlags gesehen: Ein Radweg! So etwas sucht man auf der Westseite vergeblich.

Auf dem erreichten wir dann Zarrentin an der Südspitze des Schaalsees. Dort kann man Unkraut kaufen.

In Zarrentin wurden viele neue Gebäude errichtet, die aber gut mit dem alten Mauerwerk zusammenpassen. Die Kirche stellt das genaue Gegenteil der Seedorfer Kirche dar, sie ist alt und breit.

Alle Kirchgänger werden streng bürokratisch nach ihrem Wohnort sortiert. Jede Bank ist mit einem Dorfnamen beschriftet.

Neben der Kirche sind wir zum Wasser abgebogen, um noch eine andere Art von Weg auszuprobieren. Am Ufer geht es an Bootshütten, Stegen und Campingplätzen vorbei. Der Kiesweg hat den Nachteil, dass dort auch viele Fußgänger unterwegs sind, die man nicht überfahren darf.

Der Schaalsee hat eine stark zergliederte Struktur aus kleinen Teilseen, großen Inseln und ein paar vollständig abgetrennten Seen ganz in der Nähe. Die Grenze verläuft im Zickzack quer über den Schaalsee und am Ufer einiger Inseln entlang.
Hinter Zarrentin fließt das Wasser in die Schaale und von da aus über die Sude in die Elbe.
Es war so heiß, dass wir am Schaalsee keinen Schaal tragen mussten. Ab ins Wasser!

Das Paalhuus ist ein Museum zum dazugehörigen Biosphärenreservat.

Wieder stößt man auf einen Radweg direkt neben der Straße. So kommt man schnell und sicher voran, trotzdem ist das auf Dauer etwas ermüdend.

Der Radweg folgt der Straße die Ostseite des Sees hinauf. Man kann auch nach rechts abbiegen und noch weiter vom See abschweifen, um sich weitere Dörfer anzusehen. Im Umkreis des Schaalsees liegen etwa Neuenkirchen, wo der Film Hände weg von Mississippi gedreht wurde, oder Salem, wo sich allerdings kein Luxusinternat befindet.

Nächste Station: Lassahn. Neben den üblichen Backsteinhäusern stehen hier auch Mietskasernen. Einst waren darin die Soldaten der DDR einquartiert, die schussbereit aufpassen sollten, dass niemand über den See floh. Die Dörfer wurden entweder dem Erdboden gleichgemacht oder eingezäunt, sodass niemand abends sein Haus verlassen durfte und Besuche nur in Ausnahmefällen genehmigt wurden.

Für den Nachmittag war ein Gewitter angesagt. Um nicht nass zu werden, zischten wir nur so durch Lassahn hindurch und weiter nach Kneese.
Obwohl... kalte Getränke? Na schön, diese Werbetafel hat uns dann doch zu einer Pause überredet, und zwar im Cafe Forsthof. Das ist ein Veggie-Hotel. Es wurde nämlich nicht aus Tieren erbaut, sondern aus Pflanzen, genau genommen aus Bäumen, also Fachwerk-Balken.

Diese Brücke markiert den Grenzübergang zurück in den Westen, diesmal ohne großes braunes Schild. Tschüß, Soli-Radwege! Nun gesellen wir uns wieder zu den Autos auf die Fahrbahn. Hurra.

Kalte Winde zogen auf, es donnerte bereits. Wir strampelten durch Wälder und Steigungen auf der Flucht vor dem Mistwetter, vorbei am nördlichsten Punkt des Schaalsees.

In Kittlitz haben wir uns schließlich in einem Haltestellenhäuschen versteckt. Auch hier gibt es Fachwerk, in dem man sogar herumklettern kann.

Geregnet hat es in Kittlitz aber nicht, also sind wir irgendwann wieder aufgebrochen. Der letzte Straßenabschnitt zurück nach Seedorf war klatschnass, dort hatte es offensichtlich gerade erst geregnet. Irgendwie war es uns mithilfe von Glück, exaktem Timing und einer Bushaltestelle tatsächlich gelungen, dem Gewitter komplett auszuweichen. Applaus!